Liebe Freund:innen und Freunde,
nach dem Arbeitsmeeting Mitte Dezember sind mir einige Gedanken durch den Kopf gegangen, die ich gerne mit Euch teilen möchte. Einigen von Euch wird alles, manchen vieles und einigen vielleicht nur wenig davon bewusst sein.
Angeregt wurde ich durch einige Aussagen am Ende des Treffens, in denen es darum ging, dass wir genügend Zeit haben und nicht in Eile sind. Zudem ist mir aufgefallen, dass nicht zuletzt auch für mich, noch viel Gesprächsbedarf darüber da ist, was unser Ziel ist, wie wir uns organisieren, welche Themen wichtig sind, warum und ... wie.
Dabei geht es um diverse Themenschwerpunkte, die wir natürlich immer wieder auf den Tisch bringen, weil noch keine Klarheit besteht. Folgende Themenschwerpunkte habe ich für mich herausgearbeitet, die wir meines Erachtens thematisieren und in großen oder auch in kleinen Teams besprechen, diskutieren und bearbeiten müssen – bevor wir sinnvoll zu einem AK Integration beitragen können:
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Wie werden sich digitale Meetings in den kommenden 2 bis 5 Jahren voraussichtlich entwickeln?
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Welche Dynamiken sind typisch bzw. anders als in konventionellen Meetings?
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Was müssen wir alle mindestens wissen und verstehen, um gute Entscheidungen treffen zu können?
Zu diesen Themen möchte ich meine Gedanken, Meinungen und Beispiele teilen. Dabei erhebe ich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
1. Was/wer gehört alles zu digitalen Meetings?
Warum sage ich digital, warum nicht online? Weil ich im digitalen Raum z.B. auch offline kommunizieren kann bzw. hybrid etc.
Dazu zählen sämtliche virtuellen Meetingräume, die es heute und in Zukunft gibt und geben wird. Dazu gehören Video-Konferenzen, Audio-Konferenzen, Messenger Dienste, Community Plattformen, Soziale Netzwerke, Streaming Plattformen, E-Mail ... bitte hier gerne ergänzen, denn das ist nur ein Ausschnitt.
Kommuniziert wird auf diesen Plattformen schriftlich, mündlich, mit Bild/Video und ohne, mit Emojis und allen möglichen Kombinationen.
Beispiele:
Mit Beginn des ersten Lockdowns in 2020 waren wir sehr froh, dass wir in meiner Stammgruppe mit allen regelmäßigen und sporadischen Mitgliedern bereits eine Whatsapp-Gruppe hatten, in der wir Informationen zum Meeting austauschten, sowie täglich die Seite aus dem Heute-Buch und Zitate aus der Grapevine und ähnliches teilten. Dadurch konnten wir alle informieren und sind sofort auf Skype gegangen. Wir haben uns gegenseitig technische Hilfestellung geleistet und möglich gemacht, dass alle, ob mit Rechner oder Smartphone oder mit Telefon teilnehmen konnten. Schnell danach habe ich Zoom kennengelernt und festgestellt, dass die Qualität wesentlich besser ist. Der Wechsel wurde gemeinsam im Meeting beschlossen und ging ziemlich reibungslos und wir haben alle gelernt.
Schön fand ich, dass im Rahmen des CLT eine Schulung für Tech-Hosts angeboten wurde, in denen jede:r das lernen konnte, was man brauchte, um ein Tech-Host in Zoom zu sein. So etwas brauchen wir meiner Einschätzung nach nicht nur für die Hosts sondern auch für die allgemeine Bedienung. Immerhin finden inzwischen auch Regions- und Intergruppen-Meetings als Video-Konferenzen und hybride Meetings statt. Um jeden zu befähigen, dabei zu sein, könnte hier Allen Unterstützung angeboten werden.
2. Wie werden sich digitale Meetings in den kommenden 2 bis 5 Jahren voraussichtlich entwickeln?
Schon heute ist absehbar, dass sich die digitale Welt in den kommenden Jahren massiv weiter verändern wird. Das ist nicht planbar und absehbar. Es ist global und vor allem dezentral.
Wenn wir daran denken, was sich nur in den letzten zwei Jahren geändert hat (Signal statt Whatsapp, Hosentaschen-Meeting, Speaker-Tapes auf Google Drives, das „Blaue Buch“ auf Youtube, TikTok, Facebook-Meetings, die sich automatisch in meine Sprache übersetzen lassen und vieles mehr.
3. Was ist spezifisch für digitale Meetings?
Digitale Meetings lassen sich nicht planen und kontrollieren – sie sind dezentral. Damit passen sie eigentlich perfekt zu den AA Traditionen. Meetings können überall, gleichzeitig und ohne großen Aufwand und Kosten entstehen. Informationen lassen sich schnell und leicht verbreiten. Sie kennen keine Grenzen – weder Orts-, Länder- noch Sprachgrenzen. Sie helfen uns bei unserem Hauptzweck: die Botschaft zu Alkoholikern zu bringen, die noch leiden. Sie können ebenso schnell wieder geschlossen werden oder die Plattform wechseln.
4. Welche Dynamiken sind typisch bzw. anders als in konventionellen Meetings?
Digitale Meetings sind schnell und einfach anzulegen, sie verbreiten sich ebenfalls digital – nicht nur über unsere Internetauftritte sondern auch per „word of mouth“ (Mund-zu-Mund-Propaganda), da die Einladungen und Informationen sich sehr leicht über multiple Kanäle verbreiten lassen. Sie sind nicht „ortsgebunden“, auch nicht an einen digitalen Ort (z. B. Wechsel der Videokonferenz-Plattform, Wechsel von WhatsApp auf Signal – Erweiterung von WhatsApp auf Signal etc.)
5. Wie ist die gelebte Struktur der digitalen Meetings heute – wie unterscheiden sie sich von den örtlichen Meetings?
Einige digitale Meetings sind aus Face2Face-Meetings entstanden, andere einfach so. Manche Meetings wollen wieder zurück zu Präsenztreffen, manche sind Hybrid, andere waren „ortsgebunden“ sind es nun nicht mehr. Teilweise gehören mehrere Meetings zu einer Gruppe: Mal sind es 7 Meetings, mal 16, mal nur 2 Meetings. Mal ist die Struktur an die „klassisch deutschen“ Meetings angelehnt, mal an die englischsprachigen Meetings Continental Europe, mal an die amerikanische Meetingform. Manche digitalen Meetings wollen eine Vertretung in den AA Strukturen, manche nicht. Die meisten Meetings haben viele Newcomer (z.B. sog. "Zoom-Babys"), die auch gerne Dienste übernehmen und aktiv das Programm arbeiten.
Wenn wir im Arbeitsmeeting von AA Digital einen Vertreter einer Gruppe haben, sollten wir uns z.B. über das Stimmrecht Gedanken machen. Gibt es eine Stimme pro Meeting oder pro Gruppe oder eine andere repräsentative Lösung?
Gruppenzugehörigkeit ist sowohl verbindlicher als auch unverbindlicher. Manche haben auch im digitalen Raum Stammmeetings, übernehmen Dienste und kommen regelmäßig. Viele besuchen wesentlich mehr Meetings im digitalen als im physischen Raum. Die Gruppengrößen unterscheiden sich. Viele Meetings haben regelmäßig über 50 Teilnehmer. Meetings sind vergleichbarer. Ich kann leichter Meetings mit anderen Strukturen und Inhalten besuchen (Schritte, Blaues Buch, Sprecher-, Meditations-Meetings etc.)
6. Was müssen wir alle mindestens wissen und verstehen, um gute Entscheidungen treffen zu können?
Zunächst müssen wir uns alle im Klaren sein, dass Digitalisierung auf alle Entscheidungen und Themen Einfluss hat. Zum Beispiel der Umgang mit Literatur, der Umgang mit der Arbeit im Programm, der Umgang mit Spenden, der Umgang mit persönlichen Daten und Anonymität im digitalen Raum, der Umgang mit „Störern“, der Umgang mit Neuen, Öffentlichkeitsarbeit und vieles mehr. All das lässt sich weder zentral kontrollieren noch steuern.
Und alles hängt mit allem zusammen. Jedes Meeting kann für sich entscheiden, wie es in die Öffentlichkeit geht: ein Flyer, ein virtueller Flyer, eine Website (was übrigens in anderen Ländern fast jede größere Gruppe für sich hat).
7. Welche Herausforderung birgt es, in diversen Teams zu arbeiten, bei denen die Teilnehmer:innen unterschiedlichstee Kompetenzen haben?
Die größte Schwierigkeit sehe ich persönlich aber in der Herausforderung der Zusammenarbeit. Die „Neuen“, die „Jungen“, die „Technik-Affinen“, sie werden häufig als Störer oder Rebellen empfunden. Sie sprechen von Dingen, die andere nicht verstehen, sie wecken Ängste.
Ängste, die ich sehr gut verstehen kann. Als ich aus Berlin nach Bonn gezogen bin, waren die Meetings dort ganz anders! Was war mit „meinem AA“ geschehen, dass ich doch brauche, um meine Nüchternheit zu erhalten?!
Aber entsprechend unserer Traditionen ist jedes Meeting anders, denn jedes Meeting kann für sich selbst entscheiden, was und ob es liest, was und wie geteilt wird, welche Dienste es hat, was es betet und so weiter.
Die Freund:innen und Freunde im digitalen Raum sind mittlerweile mehr oder weniger daran gewöhnt, vertrauensvolle Beziehungen (z.B. auch zu den Sponsoren) über Video und Telefon herzustellen. Das macht vielen Menschen aber auch Angst und bringt Unsicherheit mit sich, da ich mein Gegenüber nicht vollständig wahrnehmen kann. Hier ist es dann besonders wichtig, dass wir tatsächlich vertrauenswürdig sind und auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, denn digital gibt es nie ein komplettes Bild des Menschen.
Beispiel:
Als ich eine meiner Sponsees zum ersten Mal nach vielen Monaten persönlich getroffen habe, waren wir beide sehr überrascht, wir hatten uns immer als gleich groß empfunden... das waren wir aber gar nicht! :-)
Ein gutes Team ist erst vollständig, wenn es alle wichtigen Persönlichkeitstypen hat. Das heißt aber auch automatisch, dass sich einige im Team nicht verstehen, da sie gegensätzliche Persönlichkeitseigenschaften mitbringen. Hier kommt die wahre Toleranz zum Ausdruck. Dem anderen bis zum Ende zuhören und versuchen seinen Standpunkt zu verstehen, auch wenn ich ihn nicht verstehe – gerade, wenn es um wichtige „digitale“ Vorschläge geht, die jeder "digitale Ausländer" einfach nicht nachvollziehen kann, und bei denen wir dann denen vertrauen müssen, die die echte Kompetenz haben – und selbst wenn es davon mehrere gibt, müssen sie nicht einer Meinung sein. Die digitale Welt ist sehr vielschichtig. Da kann es dann schon passieren, dass ein "digitaler Einheimischer" Hürden sieht oder Lösungen, die die anderen nicht sehen oder nachvollziehen können.
Wir alle hier besuchen digitale Meetings. Dennoch: Wer von uns versteht und weiß was dahinter steckt? Wer weiß, was „State of the Art“ ist? Von diesen „Experten“ haben wir nur sehr wenige. Wenn wir aber alle Kompetenz in AA nutzen, gewinnen wir alle.
Last but not least...
Einige von uns scheuen Konflikte. Auch mich kosten sie viel Kraft. Früher hätte ich sie vermieden. Heute denke ich: der schnellste Weg raus ist durch! Also lasst uns offen streiten. Eine „Konsenskultur“ ist Stillstand und Stillstand bringt uns nicht nach vorne. Auch wenn wir alle hinterher auf allen Groll-Listen stehen, dann haben wir wenigstens die Chance zu lernen und unsere Sponsoren haben Spaß... und die höhere Macht sowieso! ;-)
Dank der digitalen Meetings wächst AA, Freunde finden zu uns und werden nüchtern. Wir können zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Meeting besuchen. AA wird immer schöner und größer, je länger ich dabei bin.
Auch ich freue mich wieder auf Face2Face-Meetings, freue mich, die Freunde vor und nach dem Meeting wieder in den Arm nehmen zu können. Genauso freue ich mich, nach vielen Jahren die Freunde aus anderen Städten, in denen ich gewohnt habe, aus Urlaubsorten und von überall her, plötzlich in einem Zoom Meeting wieder zu treffen.
Bei AA geschieht alles in Gottes Zeit.
Gute 24 Stunden und bis bald
Ulrike, Alkoholikerin aus Remagen